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Traurige Verkehrspolitik

Schienennetz schrumpft — Fernstraßennetz wächst

Auto statt Bahn: Wintersdorfer Brücke, Foto: Heiko Jacobs

Im vergangenen Jahrzehnt schrumpfte das deutsche Schienennetz um acht Prozent, während das Autobahnnetz gleichzeitig um neun Prozent zunahm.

Deutschland steht nicht allein für diese traurige Entwicklung. Auch die Mehrheit der anderen europäischen Staaten zeigt wenig Interesse an der Förderung der Schiene. Allerdings liegt Deutschland fast an der Spitze bei der Vernachlässigung des Schienennetzes und der Förderung des Straßenbaus. Nur in Polen und Lettland wurde das Eisenbahnsystem noch stärker abgebaut. Trotz steigender Nachfrage ist das Schienennetz die einzige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, die schrumpft: In den vergangenen 20 Jahren wurde das öffentliche Schienennetz in Deutschland um rund 6.600 Streckenkilometer verkleinert. Gleichzeitig wuchs das Autobahnnetz um über 1.700 Kilometer. Fernstraßen, Landesstraßen und kommunale Straßen gar nicht mitgerechnet.

Und seit 1950 schrumpfte in Deutschland das Netz von knapp 50.000 Kilometer Gleise auf heute rund 36.000 Kilometer.

Allen Politikeraussagen zum Trotz, die immer wieder die Priorität der Schiene ankündigten, Flächenverbrauch, Klimaschutz und Energieeffizienz in allen Reden beschworen, wurden die Prioritäten der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren noch stärker in Richtung Straße verlagert. Nach kürzlich vorgelegten Zahlen der EU-Kommission investierte Deutschland im vergangenen Jahr 51 Euro pro Einwohner in die Infrastruktur der Bahn. Das war noch weniger als die Krisenländer Italien (79 Euro) und Frankreich (63 Euro). Ganz zu schweigen von den hohen Investitionen anderer Staaten in ihr Schienennetz: In der Schweiz sind es 349 Euro pro Einwohner, in Österreich 258 Euro. Schweden, die Niederlande und Großbritannien waren immerhin noch mit deutlich mehr als 100 Euro pro Einwohner mit dabei.

„Diese Zahlen zeigen: Ein deutscher Verkehrsminister nach dem anderen bekennt sich — schon aus ökologischen Gründen — zum öffentlichen Verkehr und setzt dann doch nur auf Asphalt. Umweltschutz hin, Umweltschutz her“, so ein Kommentar in der Badischen Zeitung.

Ramsauer setzt noch einen drauf und sieht die Notwendigkeit für weitere 800 km neue Autobahnen als vordringlichen Bedarf, während weitere 1.600 km „so schnell wie möglich“ sechs- bis achtspurig ausgebaut werden müssen. Natürlich vergisst er dabei nicht die Bundesstraßen, wie man bei seinem Rheinbrückenbesuch in Karlsruhe vor kurzem bestätigt bekam.

Dabei bestünde leicht die Möglichkeit, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, wenn die Politik nur wollte. Schaut man sich die Schweiz an, da legt jeder Bürger pro Jahr im Schnitt 2.250 Kilometer mit dem Zug zurück, jeder Deutsche dagegen weniger als 1.000.

Aber wer so wenig in sein Schienennetz investiert wie die Deutschen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn sich der allergrößte Teil des Verkehrs auf der Straße abspielt!

Und dieser Irrsinn nimmt kein Ende:

Während die Straßenbaulobby eine Forderung nach der anderen erhebt, sitzen die Bahnunterstützer, auch PRO BAHN, VCD und andere, wie das Kaninchen vor der Schlange und wagen vor lauter Minderwertigkeitsgefühlen kaum noch finanzielle Forderungen zu erheben, so dass immer weniger Projekte für den öffentlichen Verkehr überhaupt angedacht werden. Hinzu kommen die Auswirkungen unsinniger Projekte wie Stuttgart 21, die zu einem Denkverbot für weitere dringend notwendige Schnellbahnprojekte führen.

Es ist zu befürchten, dass im nächsten Bundesverkehrswegeplan, der für 2015 vorgesehen ist, keine Schienenneubauprojekte mehr auftauchen werden, weil sich niemand traut Utopien zu nennen. Beispiel für Baden-Württemberg: Freiburg—Ulm, heutige Fahrzeit mit der Bahn über drei Stunden, mit dem Auto weniger als zweieinhalb Stunden. Noch extremer ist die Relation Freiburg—Bodensee. Während die Bahn bis Friedrichshafen ca. dreieinhalb Stunden benötigt, schafft es der Fernreisebus in 2:20 Stunden und das Auto sogar in weniger als zwei Stunden. Aber niemand, siehe Begründung oben, fordert eine Eisenbahnneubaustrecke zwischen Freiburg und Ulm mit Anschluss Richtung Bodensee?

Anreiseempfehlungen zu Geschäften und öffentlichen Einrichtungen verweisen häufig nur auf die Parkmöglichkeiten und auf die für das Auto günstigen Anreisebedingungen.

Die großen Reiseanbieter kennen offenbar nur noch das Flugzeug und das Auto. Der Leser möge einfach mal in gängige Reisekataloge schauen.

Die EU kümmert sich zwar um vieles, wie jüngst um einheitliche Handytarife, aber nicht um ein leistungsfähiges und benutzerfreundliches Eisenbahnsystem.

Über ein europäisches Schnellfahrnetz (TEN) wird kaum noch diskutiert.

Immer mehr Sicherheitsanforderungen bremsen den Schienenverkehr aus, weil neue Fahrzeuge nur noch zeitverzögert zugelassen werden und die Kosten ins Unermessliche steigen.

Jetzt tauchen auch noch Fernbusse auf, die sich auf dem gut ausgebauten Straßennetz die Rosinen herauspicken und im Gegensatz zur Eisenbahn keine Trassengebühren bezahlen müssen. Verbände, die den Umweltschutz auf ihre Fahnen schreiben wie VCD und Naturfreunde, werben sogar mit der „preisgünstigen und umweltfreundlichen Alternative“.

Fazit:

Alle, die noch Interesse am öffentlichen Verkehr haben, müssen den Kopf aus dem Sand nehmen und an die Öffentlichkeit gehen. Die einzige Möglichkeit, für Bahnen und Busse wieder mehr Geld zu generieren, ist es Forderungen zu erheben, auch die, welche zunächst utopisch klingen. Nur so kann der öffentliche Verkehr in Zukunft seinen Stellenwert in der Gesellschaft erhalten. Bescheidenheit ist der falsche Weg!

Gerhard Stolz

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/13

Stand des Artikels: 2013! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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