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Ohne Auto leben und trotzdem mobil sein — geht das?

Foto und Übersetzung eines Posters der Umweltschutz-Organisation „ecologistas en acción“, gesehen in Cádiz, Spanien; J. Bergmann-Syren

Diese Frage stellten wir uns im April 2019, als wir unser in die Jahre gekommenes Auto verkauften und beschlossen, kein neues anzuschaffen Wir, das sind meine Frau Susanne, berufstätig in Bad Kreuznach und ich, Jürgen, Bauingenieur, seit Ende 2017 in Rente. Wir leben im Süden von Bad Kreuznach und sind in der Stadt viel mit dem Fahrrad unterwegs. Wir haben drei erwachsene Töchter, die jeweils in Großstädten leben und auch über kein eigenes Auto verfügen.

Warum wollen wir kein Auto mehr haben? In erster Linie geht es uns um unseren Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Wir versuchen schon seit längerem auf unnötige Autofahrten zu verzichten und nutzen neben dem Fahrrad Bus und Bahn. Wie also werden wir, ohne ein Auto zu haben, zurechtkommen, wenn es darum geht, Einkäufe zu erledigen, jemanden vom Bahnhof abzuholen, zu Besuchen oder zur Freizeitgestaltung in die Umgebung zu fahren, Reisen zu unternehmen?

Vom ersten Tag an, als wir unseren Kleinwagen verkauft hatten, habe ich jeden Tag festgehalten, wohin wir unterwegs waren und mit welchem Aufwand und welchen Kosten es verbunden war, andere Verkehrsmittel als das Fahrrad zu benutzen. Ich wollte herauszufinden, inwieweit wir Einschränkungen der Mobilität in Kauf nehmen müssen und welche alternative Möglichkeiten es bisher gibt, wenn kein Auto da ist. Nebenbei interessierte mich auch der wirtschaftliche Aspekt, d. h. der Vergleich zwischen den Kosten für den Betrieb des eigenen Autos, gegenüber den Fahrtkosten für andere Verkehrsmittel.

Das erste kurze Fazit vorab: Wir sind gut zurechtgekommen und keiner von uns beiden vermisst unser Auto. Es steht für uns außer Frage, dass wir weiter ohne Privat-PKW leben wollen!

Was sind unsere Erfahrungen und was hat sich bei uns geändert?

Zunächst einmal nutzen wir beide im Stadtgebiet für fast alle Aktivitäten unsere Fahrräder, für Fahrten zur Arbeit (Susanne), zum Einkaufen, zum Sport, zu Begegnungen, zu Freizeitaktivitäten und Kulturereignissen. Für den Transport von sperrigen Sachen, wie z. B. Getränkekisten oder Blumenerde haben wir einen Fahrradanhänger, den ich im Schnitt einmal pro Monat anschließe. Bei Großeinkäufen auf dem Wochenmarkt nehme ich darüber hinaus auch gerne das Angebot der Ehrenamtlichen vom KLARA-Projekt in Anspruch und lasse mir das Eingekaufte nach Hause fahren. Zusammengerechnet hat jeder von uns mit dem Rad ca. 2.500 km im Jahr zurückgelegt.

Einige wenige Male mussten wir vor Ort aus zeitlichen Gründen oder witterungsbedingt ein Taxi nehmen. Nach einer ersten Überschlagsrechnung, welche Kosten wir monatlich für das Auto üblicherweise ausgegeben, stellte ich fest, dass wir nun jeden Monat etwa 250 € für Fahrtkosten ausgeben könnten, ohne im Jahr höher als für den Betrieb des Autos zu liegen. Das machte es uns leichter, auch einmal „großzügig“ zu sein und das Taxi zu nehmen.

Bus und Bahn waren in Kreuznach und Umgebung eine willkommene Möglichkeit, vor allem für Besuche und Freizeitaktivitäten. Durch die Unverfügbarkeit eines Autos war es für uns eine willkommene Herausforderung, Ausflugsziele in der Umgebung auszusuchen, deren Start- bzw. Zielpunkt mit dem ÖPNV zu erreichen waren. Hier zeigte sich der große Vorteil der Bahn-App fürs Smartphone, mit der wir schnell und zuverlässig alle notwendigen Verbindungen vom Standort zum Zielpunkt herausfanden und auch gleich das Ticket kaufen konnten. Besonders attraktiv war es, wenn wir mit Besuchern gemeinsame Ausflüge unternahmen und dafür ein preisgünstiges Gruppentagesticket nehmen konnten. Bei Bedarf konnten wir sogar unsere Räder mitnehmen.

Gleich zu Beginn unserer „autofreien Zeit“ machte ich mich mit dem Carsharing-Angebot der Stadtwerke Bad Kreuznach vertraut. Ich lernte dabei, möglichst vorab die Zeit, in der ich das Auto nutzen will, gut abzuschätzen, da nach gemieteter Zeit abgerechnet wird und ich vermeiden wollte, für ungenutzte, angefangene Zeiteinheiten zu bezahlen. Mittlerweile haben die Stadtwerke den Standort in unserer Wohnungsnähe in der Schubertstraße aufgegeben, so dass dieses Angebot für uns nicht mehr so attraktiv ist.

Eine schöne Erfahrung war es, dass unser „autofreies“-Dasein auf so positive Resonanz bei Freunden und Bekannten stieß. Wir haben an unserer Pinnwand acht Adressen von Leuten stehen, die uns angeboten haben, uns ihr Auto zu leihen, wenn wir mal eines benötigen würden. Ein privates Carsharing sozusagen, nur dass wir natürlich selber keines anbieten können. In der Regel haben wir — vor allem für längere Fahrten - einen Betrag pro Kilometer vereinbart, der die Kosten für Kraftstoff, aber auch Verschleiß beinhaltet. Dieses Angebot haben wir über 20-mal wahrgenommen und konnten damit auch einmal mit der ganzen Familie unterwegs sein bzw. Möbel transportieren.

Im Süden von Bad Kreuznach wurden an einigen Stellen Mitfahrerbänke aufgestellt. Das haben wir einmal für eine Fahrt in den Nachbarort ausprobiert. Es hat tatsächlich jemand angehalten und uns mitgenommen. Eine gute Idee, die noch nicht so recht angenommen wird, aber ausbaufähig ist.

Eine große logistische Herausforderung war natürlich unsere Planung für den Sommer- Campingurlaub im letzten Jahr auf Spiekeroog. Aber auch das ließ sich nach einigem Recherchieren relativ problemlos mit gemieteten Autos für Hin- und Rückfahrt, sowie Zubringerfahrten mit Bus oder Taxi zum jeweiligen Abhol- oder Abgabeort der Mietwagen lösen.

Den größten Anteil an Kilometern haben wir übers Jahr per Bahn zurückgelegt. Dazu zählen Fahrten nach Berlin, München, Stuttgart, Köln und vieles mehr. Insgesamt waren es ca. 5.500 km. Für die Wege von und zu den Bahnhöfen benutzen wir — wenn wir nicht abgeholt oder gebracht wurden — meistens den öffentlichen Nahverkehr, wobei die Kosten dafür meist in den Bahn-Tickets enthalten waren.

Nach einem Jahr ohne eigenes Auto können wir feststellen, dass es für uns gar nicht so schwer war, kein Auto vor der Tür stehen zu haben. Dadurch stellte sich gar nicht mehr die Frage: „Nehme ich das Auto oder fahre ich mit dem Rad oder dem Bus?“. Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir, soweit es geht, die Alternativen Rad, Bus, Bahn nutzen und gegebenenfalls auch die Angebote der Freunde und Bekannten in Erwägung ziehen. Sicher hätten wir sonst das eine oder andere Mal schneller zum Auto gegriffen.

Festzuhalten bleibt aber auch, dass es in einer Stadt wie Bad Kreuznach für uns leichter möglich ist, ohne eigenes Auto mobil zu sein, da wir geübte Radfahrer*innen sind. Andernfalls würde uns das Radwegeangebot in der Innenstadt eher abschrecken und wir müssten stattdessen häufiger auf das dürftige Busangebot der Stadt zurückgreifen. Mobilität nach 20:00 Uhr wäre so damit jedenfalls nicht möglich. Das wäre eine sehr große Einschränkung. Auch wenn wir nicht in der Kernstadt wohnen würden, würden die vorhandenen Defizite im ÖPNV uns wohl vor große Probleme stellen.

Wir sind zufrieden und fühlen uns bestätigt, dass der Verzicht auf das eigene Auto eine gute Idee war. Wir werden weitermachen und wir sind zuversichtlich, dass sich in der kommenden Zeit nicht nur in Bad Kreuznach das Mobilitätsangebot Stück für Stück verbessern wird. Das würde es für Menschen, die ebenfalls auf ein eigenes Auto verzichten bzw. die sich mit anderen zu einem Carsharingprojekt zusammenfinden wollen, erleichtern, einen solchen Schritt zu erwägen. Ein derart reduzierter Autoverkehr gäbe mehr Lebensraum in den Städten, bessere Luft und wäre auch ein Beitrag gegen den Klimawandel.

Jürgen Bergmann-Syren, Bad Kreuznach, 4/20

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Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/20

Stand des Artikels: 2020! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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